14. Finnland, wappu ist denn los mit dir? (DE)


Sonnenuntergangs-Brotzeit auf der Fußinsel! Mittlerweile sind die Tage hier bereits 17 Stunden lang.



 Finnland ist ein Land, welches immer wieder schafft, sich selbst zu übertreffen. Sei es noch ein Löyly mehr in der Sauna, noch ein unerwarteter Schneesturm mehr im Mai, noch 10 Bier mehr in der Bar, Leute, die bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mit Shorts und T-Shirt unterwegs sind, der Sauna Klonkku (Erklärung dazu nur auf Anfrage, nichts für schwache Nerven) - angesichts der sagenumwobenen, hochgradig seltsamen, weirden, strangen Ansammlung aus random Aktivitäten, Events und Traditionen die in die Wappu-Zeit zwischen Mitte April und 1.Mai fallen, zerfällt dies alles zu Sandstaub. Während Wappu ziehen die finnischen Studis nämlich nochmal ganz andere Seiten auf, was Campuskultur angeht. Aber dazu später mehr. Was hat es mit Wappu eigentlich auf sich?

Genau gesagt umfasst Wappu lediglich die Nacht des 30. Aprils und den 1. Mai, welche den Frühlingsbeginn einläuten. Der Name des Feiertags leitet sich von der katholischen Heiligen Walburga ab, also in Anlehnung an die Walpurgisnacht, welche in der Nacht vom 30.April auf den 1.Mai zelebriert wird. Im 18. Jahrhundert wurde Wappu vorwiegend von der finnischen Oberschicht gefeiert, welche den 1. Mai dazu nutzten, draußen im Grünen zu picknicken und sich einfach zu vergnügen. Zum Glück blieben die Wappu-Freuden nur kurze Zeit den oberen Zehntausend vorbehalten. Im Laufe des 19.Jahrhunderts begannen finnische Schulabgänger*innen, sich die Wappu-Feierlichkeiten anzueignen. In dieser Zeit begannen Schüler*innen erstmals, die weißen Hüte zu tragen, welche auch heute noch junge Menschen in Finnland zu ihrem Schulabschluss bekommen. Zudem wurde der erste Mai auch zunehmend ein wichtiger Tag für die Arbeiter*innen-Bewegung. Primär ist Wappu mittlerweile in Finnland, und insbesondere in Tampere, eng mit der Studierendenkultur vernetzt. Bereits am 13. April hat das Warm-Up für die eigentlichen Feierlichkeiten begonnen. Plötzlich waren während Wappu die bunten, mit Patches "verzierten" Overalls der finnischen Studis überall präsent, wobei jede Gilde ihre ganz eigene Farbe hat. Ich besitze aus minimalistischer-Kleiderschrank-Gründen keinen Overall, aber als Austauschstudentin hätte ich zum Beispiel einen blauen Overall von ESN, dem Erasmus Student Network tragen können. In Finnland nehmen studentische Gilden einen wichtigen Platz im Studi-Leben ein, und während des Wappu Warm-Ups und der eigentlichen Wappu-Feier haben diese Gilden eine Menge bizarrer, witziger und kurzweiliger Aktivitäten und Partys organisiert. Der Aktivitätenkalender hing überall am Campus aus, und man konnte in der zweiten Aprilhälfte theoretisch ununterbrochen Party machen oder einfach am Hervanta Campus chillen. Der Hervanta Campus war während der Wappu-Zeit quasi der Nabel der Welt, da die dort studierenden Teekaris (also Studierende in technischen Studiengängen) für so ziemlich alles rund um Wappu verantwortlich sind. Ich als Politik-Studi bin dagegen am City Center Campus, was aber natürlich nicht ausschließt, dass ich nicht auch meine Freude an Wappu haben kann. ;)  Hier also eine kleine Auswahl an Aktivitäten, die meine Freund*innen aka die Wasties und ich während Wappu abgecheckt haben, inklusive medialer Dokumentation, weil sonst glaubt mir das eh niemand:

  • Die akademische Sauna-Aufguss EM am Hervanta Campus. Eh klar, dass es ein Event mit Bezug zur Sauna geben muss. Jeannette und ich haben teilgenommen und haben es sogar in die Play-Offs geschafft (wobei wir da nicht angetreten sind :D). Unter Wettbewerbsbedingungen ist man allerdings nicht in einer richtigen Sauna, sondern muss versuchen, mit einem vorgegeben Abstand mit einer Kelle Wasser in einen Messbecher zu schöpfen, welcher innerhalb einer Box angebracht ist. Random as fuck. Bei der Gelegenheit haben wir übrigens den Sauna-Song entdeckt, kulminierte finnische Weirdness einfach. Ah ja, einen kleinen Saunaanhänger inklusive Whirlpool gab es natürlich trotzdem nebenan, mitten auf dem Campus. Alles andere hätte mich auch schwer überrascht.


  • Das Tupsala Open-Air. Hausbesetzungs-Flair trifft Livebands, deren Mitglieder weder ihre Instrumente beherrschen noch singen können, aber dafür umso mehr Spaß (und Promille) beim Musizieren haben.


  • Die Paw Therapy. Mein Highlight. Ein Park, ein Haufen haustierbesitzende Studis, viele, viele tolle Hunde und vereinzelt sogar Katzen! Ich hab in kurzer Zeit sehr viel Flausch berührt und wahrscheinlich mehr Bekanntschaften geschlossen als in meiner ganzen Zeit in Tampere, allerdings ausschließlich mit Fellnasen. Gegen Ende des Events fühlte ich mich tatsächlich therapiert, wusste viele biographische Details über die anwesenden Vierpföter, aber so gut wie gar nichts über die dazugehörigen Zweibeiner. Letzteres war aber eh nicht mein Ziel. ;)
  • Kyykkä Turnier: Wahre Poesie: Dieser Sport verbindet Holzschläger-durch-die-Luft-Schleudern mit Daydrinking. Verständlich daher, dass finnische Studis darauf fliegen. Gemeinsam mit Jeannette und zwei Kumpels haben wir auch unser Glück versucht, und dabei unter anderem gegen ein Team namens "DDR:n Naisvoimistelijat" (übersetzt: DDR-Frauengymnastik). Waren allerdings hauptsächlich Typen in der Mannschaft, die noch dazu ziemlich profi-mäßig unterwegs waren. Wir haben haushoch verloren natürlich, und das, obwohl wir brezn-nüchtern waren und "gut angeheitert" wohl eher eine Untertreibung in Bezug auf den Zustand der DDR-Damen war. Auf Nachfrage bezüglich der... nun ja, speziellen Namenswahl unserer Gegner wurden wir darauf verwiesen, dass sich der Teamname davon herleitet, dass sie ähnlich unterwegs sind wie Damen-Sportmannschaften in der DDR: Nämlich auf Steroiden. Ja eh klar, warum sind wir da nicht selbst drauf gekommen, wir Dummerchen.
Das rechts am Spielfeldrand ist übrigens keine Schnapsleiche, sondern einfach nur eine creepy Maskottchen-Puppe in Lebensgröße, bekleidet mit einem Overall natürlich.


  • Der Rave Container. Freitag Nachmittag, 16 Uhr, ein Haufen schwitzende Menschen, Strobo-Licht, Technobeats, alles in einem Container, der mitten im Park am Fluss neben Pinja steht, 15 Minuten ravende Glückseligkeit.


In dieser zweiten Aprilhälfte war es echt schwierig, die Balance zwischen Uni und Wappu zu finden - wie machen das nur die finnischen Studis? Dementsprechend habe ich das Gefühl, eine Art "Wappu for stupid tourists" gefeiert zu haben, wobei ich auch nicht ausreichend soziale Energie habe, um zwei Wochen lang ununterbrochen zwischen bunten, betrunkenen Overalls vor mich hin zu existieren. Aber die Sneak Peaks, die ich bekommen habe, waren dafür umso eindrucksvoller. Den Gipfel von dem Ganzen, nämlich das Statue Capping in der Nacht vom 30. April auf den 1.Mai, so wie das Teekkari-Dipping am 1.Mai, habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Was war jetzt schräger? Beim Statue Capping haben wir uns kurz vor Mitternacht eingequetscht zwischen tausenden Finn*innen wiedergefunden, alle Blicke auf die Kultakultri Statue auf einem Inselchen mitten im Fluss gerichtet. Um Punkt Mitternacht wurde die Statue gekrönt, mit dem weißen Hütchen finnischer Studis natürlich. Die Krönung der Statue war gleichzeitig der Startschuss für die Finn*innen: Zum ersten Mal in diesem Jahr durften auch sie ihre Cap aufsetzen. 


Begleitet wurde das Ganze von der Teekkari-Hymne und einer Sektdusche. Und wir mittendrin! Nice.


 Klebrig vom Sekt und mit kalten Füßen ging es in dieser Nacht zwischen April und Mai ins Bett, um am nächsten Tag sogleich wieder an den Fluss zu schwirren, um das Teekkari-Dipping zu bestaunen. Die Teekkari-Quietschies (Uni Passau <3 Slang für 'Erstsemester') werden am 1.Mai nämlich traditionell getauft. Natürlich heißen die hier nicht Teekkari-Quietschies, sondern werden "Fuksis" genannt. Ab Mittag zogen die Fuksis also mit ihren verschiedenfarbigen Overalls in einer großen Parade durch Tampere, welche am Flussufer endete. Und da begann das eigentliche Spektakel. Im Jahr 1966 hatten ein paar Elektrotechnik-Studis in Tampere die Idee, einen riesigen Container namens "Amontillado" zu bauen, um mehrere Fuksis auf einmal fachgerecht im Fluss taufen zu können. Daraus entwickelte sich über die Jahre ein irrsinniges Event, bei dem alle Fuksis in Gruppen von jeweils 12 Leuten nacheinander in den Amontillado verfrachtet wurden, von einem Kran in die Höhe gehoben und anschließend mehrmals hintereinander bis ungefähr Brusthöhe im Flusswasser gedippt wurden. Begleitet von erneuten Sektduschen, versteht sich. Die Fuksis haben sich wie die Lemminge also der Reihe nach aufgestellt, um im Fluss zu wahren Teekkaris getauft zu werden. Okay, ich merk grad, wenn ich das so erzähle, kommt es rüber, als hätte ich mir irgendwas eingeworfen. Ist hier aber gelebte Realität. Das Teekkari-Dipping am 1.Mai, also letzten Montag, zog sich über vier Stunden hin, und als nicht-Teekkari-Studis konnten wir das Ganze hervorragend im Gras sitzend beobachten. Mit Munkki-Pause (traditionelles Gebäck während Wappu, im progressiven Finnland zum Glück auch in vegan erhältlich) inklusive. 



Hätte mir vor meiner Reise nach Finnland erzählt, dass ich hier an Sauna-Aufguss-Wettbewerben teilnehme, Leute bei einer seeeehr speziellen Art der Flusstaufe beobachte und gegen die DDR-Gymnastikdamen Kyykkä spiele, hätte ich der Person den Vogel gezeigt. Wappu war eine ganz besondere und sehr witzige Zeit während meines Semesters in Tampere, aber es war auch gut, danach wieder zur "Normalität" zurückzufinden. ;) Wenn ich ein Learning aus Finnland und vor allem aus der Wappu-Zeit mitgenommen habe, dann, dass es vollkommen okay ist, sich zu seiner Weirdness zu bekennen, diese auszuleben und dabei zero fucks darauf zu geben, was andere wohl von einem denken. Jo, das ist wohl die Moral von der Geschichte für heute. Tatsächlich heißt es für mich übermorgen in einer Woche bereits Abschied nehmen von Finnland, von Tampere, von Pinja, von den wunderbaren Freund*innen/Wasties, dem Saunalifestyle, der sagenhaft schönen Natur, all dem, was die letzten Monate so unvergesslich schön gemacht hat. Und natürlich vom finnischen "Ja" zur Weirdness! (Sorry an die Leser*innen, die nicht so viel mit Englisch am Hut haben, ich weiß leider echt nicht, wie ich das auf Deutsch sagen soll) 

Wie immer verabschiede ich mich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Im Fall von Tampere ist es aber eher so, dass ich mich hauptsächlich von Freund*innen verabschiede, die ich ziemlich sicher wiedersehen werde, da Europe nun mal sehr gut vernetzt ist. Trotzdem, es bedeutet einen Abschied vom gemeinsamen Alltag. Von gemeinsamen Mahlzeiten in der nach wie vor sagenhaft siffigen Pinja-Küche (die ich auf jeden Fall NICHT vermissen werde), der Vielzahl von Insidern, mit denen man mittlerweile schon ganze Konversationen führen kann. Vom gemeinsamen Jammern über die Kälte (mein Körper ist wirklich nicht gemacht für dieses Klima!!!), die Pinja-Küche, den Wind, die Pinja-Küche, die finnische Verschlossenheit, die Pinja-Küche, das Essen der Mensa, und bloß nicht zu vergessen, die Pinja-Küche. Vom Schwärmen über hunderte unfassbar schöner Sonnenuntergänge an tausenden Seen, Saunabesuche, vom Adrenalinkick nach dem Eisbaden, von Finnlands stillen, dunkelgrünen Wäldern, von knuffigem Mummin-Merch überall. Von den schönsten Spazier- und Laufrouten, die ich in den letzten Monaten erkundet habe, von den Boulderhallen, die ich frequentiert und lieb gewonnen habe. Vom Lachen, bis man Bauchmuskelkater hat. Vom gemütlichen Sich-Einmummeln in meinem Wohnheimzimmer. Von langen Nachmittagen in der Uni-Bib. Von durchtanzten Nächten und Kneipenbesuchen. Von diesen letzten kostbaren Monaten, in denen ich es nochmal richtig genossen habe, Studentin zu sein. 

Letzten Mittwoch habe ich die letzte Vorlesung meines Studi-Daseins besucht, und gerade sitze ich ein letztes Mal an einer Hausarbeit (glücklicherweise zu einem sehr interessanten Thema im Bereich Migrationsforschung). Nur noch zwei Prüfungen in Ravenna stehen aus, und natürlich die Masterarbeit (Schreckgespenst...). Echt unheimlich. Naja, zumindest die Ravenna-Klausis sind noch einigermaßen Zukunftsmusik. Ich genieße jetzt nochmal so richtig die letzten Tage Finnland mit den Wasties, mit allem, was dazu gehört. Und dann geht es nächste Woche Dienstag mit der Fähre von Turku nach Stockholm, und von dort aus mit dem Zug Stück für Stück südwärts gen Bayern. Zwar war ich zwischen Kambodscha und Finnland ein paar Tage in Leberskirchen, aber diese paar Tage nehme ich rückblickend eher verschwommen wahr. Jetlag, die Klimaextreme, der immense Load an zu verarbeitenden Erfahrungen, Vorbereitungen für Finnland - körperlich war ich in diesen ersten Januartagen in Leberskirchen zwar anwesend, aber mental war ich wohl doch eher Anfang September 2022 das letzte Mal dort. Das Unterwegssein steckt schon so tief in mir drin, dass ich gar nicht mehr wirklich weiß, wie sich Sesshaftigkeit und Beständigkeit anfühlen. Ich merke gleichzeitig, dass ich das aber tatsächlich wieder brauche, einen Ort, den ich Zuhause nennen kann. Mal sehen, wo dieser Ort wohl geographisch verortet sein wird - das ist (neben der Forschungsfrage der Masterarbeit -.-) aktuell die große Preisfrage. Naja, kommt Zeit, kommt Rat.

Ich werde wahrscheinlich nochmal bloggen, wenn ich in Schweden bin. Also, stay tuned!

Tschüsli Müsli,

Vroni

Und da ich hier wissenschaftlich halbwegs akkurat arbeite und das Wissen über Wappu nicht einfach so in meinem Köpfchen rumspukt, sondern  für diesen Artikel ein bisschen recherchiert habe, hier noch meine Quellen. Wer also mehr erfahren möchte, einfach hier nachlesen.


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