16. Sueco viejo! (Alter Schwede!) (DE)

Botanischer Garten in Lund

 Gerade sitze ich in einem überfüllten, schlecht klimatisierten Zug (der gerade aus "technischen Gründen" seit 10 Minuten bewegungslos in der dänischen Pampa verharrt) von Kopenhagen nach Hamburg und pirsche mich langsam (!) an die deutsche Grenze ran. So eine Fahrt mit dem allseits geliebten und geschätzten Alman-Mobilitätsdienstleister Deutsche Bahn schenkt einem ja, oft gegen den eigenen Willen, ziemlich viel Freizeit, darum gibt es an dieser Stelle ein kleines Schweden-Update. (Der Abschied von Tampere tut immer noch etwas weh, though. Huhu, mitä kuluu?)

Schweden. Ja, was hab ich dieses Land unterschätzt! Dachte zuerst, das wird jetzt einfach Finnland 2.0, aber mit einer anderen Sprache, die ich zumindest in Schriftform einigermaßen verstehe, und mit ein bisschen Astrid-Lindgren-Bullerbü-Flair. Und Greta halt. Weit gefehlt. Begonnen hat mein Schwedentrip in Stockholm, wo ich letzten Dienstag abends mit der Fähre aus Turku angekommen bin - da ich in meiner letzten Nacht in Tampere so gut wie gar nicht geschlafen hatte, hab ich mich an diesem Abend recht schnell ins Hostelbett verkrochen. Tags darauf ging ich auf Stockholm-Erkundungstour, wobei das Wetter eher bescheiden war und ich daher einen Museumstag draus machte. Das Kunstmuseum der Moderne in Stockholm hat es auf jeden Fall in sich, alternative Museumskonzepte, Augmented Reality, schwedische Underground-Künstlerinnen, alles, was das woke artsy Herz begehrt. Wenn's regnet, sehen Städte ja grundsätzlich eher ein bisschen scheiße aus, aber nichtsdestotrotz ließ sich erahnen: Das ist eine bombastisch schöne Stadt. Verteilt über ganz viele Inseln im baltischen Meer, historische Architektur, Radwege, Grünflächen, nice kleine Läden - es lässt sich gut aushalten dort. Nach meinem Museumsausflug und Altstadtspaziergang im Regen habe ich dann den Luis getroffen, meinen Couchsurfing-Host für die nächsten zwei Tage in Stockholm. Für alle, die nicht wissen, was Couchsurfing ist: Couchsurfing ist ein Netzwerk, das einen ermöglicht, vor Ort andere Reisende zu treffen, aber eben auch, um Gastgeber*innen zu finden, die kostenlos ihre Couch, Matratze, ihr Gästezimmer, einfach irgendeinen Flecken in ihrem Zuhause zum Schlafen anbieten. Beim Couchsurfing geht es nicht darum, Tourist*in im klassischen Sinne zu sein, sondern sich ein bisschen mit den Leuten vor Ort zu connecten. Man verhält sich dabei nicht so wie im Hostel, sondern ist für kurze Zeit Teil des Haushalts und des Lebensalltags der Gastgebenden. Dementsprechend passt man sich ein bisschen an, aber lernt dafür Orte aus der Perspektive der Locals kennen. Ich war in Schweden bis auf die erste Nacht in Stockholm nur am Couchsurfen, und ohne Couchsurfing wäre es definitiv nicht das geniale Erlebnis geworden, welches es eben war. Das wird wahrscheinlich nochmal klarer, wenn ich später von meinem Wochenende in Malmö erzähle.

Sicht auf Stockholm von der Fähre aus :)


Luis hatte jedenfalls eingewilligt, mich für zwei Nächte in Stockholm zu hosten. Luis selbst ist kein gebürtiger Schwede, sondern in Irland aufgewachsen, aber seine Familie ist gefühlt überall in Europa und in Afrika verteilt - also war er quasi schon immer sehr international unterwegs! Die Kindheit in Irland hat man ihm angemerkt, ein sehr witziger Zeitgenosse. Er ist selbst viel, viel aktiver als ich auf Couchsurfing und hatte darum auch viele coole Stories zu teilen. Ich habe mich gut verstanden mit ihm, er hat mir sein Viertel (wunderschön gelegen, wenn auch etwas außerhalb von Stockholm) gezeigt, wir sind mit der Fähre ins Zentrum rein, was echt toll war, sind ein bisschen durch die Altstadt gelaufen, haben über alles Mögliche gequatscht, sind auf ein Bier in seinen Lieblingspub gegangen und hatten einfach einen sehr relaxten Tag miteinander. Er hatte frei, weil auch in Schweden Christi Himmelfahrt gefeiert wird, und hat sich darüber gefreut, durch meine Anwesenheit ein bisschen Touri in der eigenen Stadt spielen zu können. Was mir an Stockholm gefällt, ist, dass es keine Stadt ist, in der man großartig Sightseeing machen muss - die Stadt ist einfach ein Gesamtkunstwerk, es reicht voll und ganz, ein bisschen rumzuspazieren und die Eindrücke in sich aufzunehmen. Mir ist vor allem aufgefallen, dass die Schwed*innen nochmal einen Ticken lebhafter und offener sind als die Finn*innen - und, well, schön sind sie auch. Aber hallo. Der erste Eindruck von Schweden war also schonmal sehr positiv, da ich eh kaum Erwartungen und Vorstellungen hatte. 

Allerdings bin ich ein bisschen sensibel, was Me-time angeht. Wenn ich mit Menschen unterwegs bin, mit denen ich zu 100% klicke, dann habe ich es eigentlich gar nicht, dieses Bedürfnis nach Me-time, oder es reicht mir, meine sozialen Batterien mit einer Runde Yoga oder ein paar Seiten Lektüre vor dem Schlafengehen aufzuladen. Wie gesagt, war Luis meganett und ein super Host, aber zu 100% habe ich eben nicht mit ihm gevibt, weshalb es dann doch ganz gut war, dass ich am Freitagvormittag während meines letzten Tages in Stockholm wieder allein unterwegs war. Eine positive Referenz gab es für ihn natürlich trotzdem auf Couchsurfing, ich denke mal, dass ich in dem Fall das komplizierte Ende der Fahnenstange bin. Ja, und am Nachmittag ging es dann mit dem Schnellzug weiter nach Malmö, und wieder mit absolut keiner Vorstellung davon, was mich dort erwartet. Ich wusste nur, dass ich bei Ericka unterkommen würde, eine alleinerziehende Mama von zwei Jungs im Grundschulalter. Mit Spanisch als Muttersprache, da ihre Familie aus Peru kommt und nach Schweden migriert ist. Und dass außer mir noch eine weitere Couchsurferin namens Mariam bei Ericka und ihren Kids unterkommen würde. Mariam, eine Tunesierin in meinem Alter, die in Paris studiert hat und jetzt dort lebt und arbeitet, hat auch mich am Bahnhof gewartet - und wir haben sofort miteinander geklickt! Mariam ist einfach eine extrem liebe, hilfsbereite, kluge, spontane und unternehmungslustige Person. Zuerst hatten wir vor, unabhängig voneinander in Malmö und Umgebung auf Tour zu gehen, aber irgendwie war es ganz schnell klar, dass wir das ganze Wochenende gemeinsam verbringen würden - wenn es passt, dann passt es halt! Samstagmorgen sind wir also zusammen mit Ericka + Kids nach Lund, weil die Jungs Fußballtraining hatten. Mariam und ich sind planlos durch Lund gelaufen, haben ohne Ende geratscht, Pflanzen im botanischen Garten bewundert, und uns irgendwann mal auf den Weg nach Malmö gemacht, wo wir zur Grillparty von Ericka's Tante eingeladen waren. 



Wir hatten nämlich bereits am Freitagabend fast die komplette Familie von Ericka kennengelernt, und ganz im Latino-Style wurden die Mariam und ich sofort ins Familienleben integriert. Also habe ich mich am Samstagnachmittag in einer Küche irgendwo in Schweden wiedergefunden, umgeben von Ericka's Schwestern, Tanten und ihrer Mama, habe Guacamole zubereitet und Spanisch geredet, begleitet von alten Banda-Songs - ein kleiner Ausflug nach Lateinamerika quasi, mitten in Skandinavien. Sueco viejo. Bruh, wie hatte ich das vermisst. Flashbacks zu Mexiko 2018 und 2019 ohne Ende. Es wurde gegrillt, gegessen, ganz viel durcheinander geredet, die Musik immer lauter gedreht. Mariam und ich sind irgendwann mit den Kids und Ericka's Cousins, die altersmäßig auch irgendwo im 20er drinstecken, raus in den Garten und haben den ganzen Abend Fußball gespielt. Das ist genau die Art von Reisen, die ich am liebsten mag: Keine Sightseeing-Spots abklappern, sondern einfach für kurze Zeit an der Alltagsrealität von den Leuten teilhaben. Wer hätte vor einer Woche gedacht, dass ich in Malmö barfuß durch den Garten einer peruanischen Großfamilie laufe und mich von den Fußballtricks eines 11-Jährigen lahmlegen lasse? Diese Randomness liebe ich an Couchsurfen. Eigentlich ja am Leben generell. 



Später sind wir dann noch mit Lucerna und Ericka's Fußball-Cousins in eine Bar in Malmö's Hipsterviertel und haben den Abend gemütlich ausklingen lassen. Vor allem Lucerna war eine spannende Gesprächspartnerin - sie ist ein paar Jahre älter als ich, hat das Schreiben zu ihrem Beruf gemacht, und bereits in China, Hongkong und in Taiwan gelebt. Und ist eine absolute Leseratte, weshalb wir einen kurzen feministischen-Literatur-Nerd-Talk hatten. Ganz so gemütlich ist der Abend dann doch nicht mehr geworden, sondern nochmal ziemlich actionreich, weil die Mariam und ich dann noch um 1 Uhr morgens in der Nordsee schwimmen waren. Finnland-Feelings. <3 Nach einem langen und erlebnisreichen Tag ging es dann doch irgendwann ins Bett, aber blooooß nicht zu lange, denn sleep is for the weak. Gestern sind Mariam und ich erstmal am Hafen Frühstücken gegangen und im Anschluss wieder nach Malmö rein, weil wir mit Ericka zum Volleyballspielen am Strand verabredet waren. Auf dem Weg zum Strand ist mir schon aufgefallen, dass Malmö vor allem eines ist: Sehr, sehr grün. Parks, Bäume, Büsche, Blumen überall, und jetzt, wo alles blüht mit einem sehr intensiven Blütenduft in der Luft, dazu noch sehr viele Radwege und ein echt guter ÖPNV - die ganze Region rund um Malmö macht ganz schön viel richtig in puncto nachhaltiger Standtplanung. Und es sieht natürlich wunderschön aus, diese radelnden Schwed*innen zwischen dem blühenden Grünzeug an der Strandpromenade. Selbstverständlich sind wir zu spät zum Volleyball gekommen, aber von Ericka weit und breit keine Spur. Hm. Nun gut, vielleicht Latino-Zeitverständnis, kenn ich ja von irgendwoher. Also haben Mariam und ich einfach begonnen, mit anderen Leuten Beachvolleyball zu spielen und total die Zeit vergessen. 



Irgendwann habe ich dann doch noch die Ericka gespottet und auch mit ihrem Team gespielt, mit ein bisschen Reggaeton im Hintergrund. Und mit dem Meer nebenan und einer endlos langen schwedischen Golden Hour. Ist schön, für ein paar Stunden mal das Gehirn auszuschalten und einfach nur präsent zu sein. Mariam und ich hatten total vergessen, dass am nächsten Tag ja schon Montag ist - für uns beide der Abreisetag, und zusätzlich für sie noch ein Tag remote arbeiten, und naja, mir schadet es auch nicht, einigermaßen regelmäßig Unikram zu erledigen. Wir waren beide einfach zu geflasht von diesem Wochenende, welches sich ja oberflächlich betrachtet nach einem 08/15 Sommer-Wochenende mit Grillparties und Volleyball anhört. Aber Malmö und Umgebung haben einfach echt eine krasse Lebensqualität, und in Kombination mit dieser unerwarteten Freundschaft, die Mariam und ich geschlossen haben (bin bereits schon nach Paris eingeladen worden, hehe) und unserer Kurzzeit-Adoption in Ericka's Familie war das ganze Erlebnis wirklich etwas ganz Besonderes. Gestern Abend wollten wir dann eigentlich früh ins Bett gehen, sind dann aber mit Ericka noch zwei Stunden in der Küche gewesen und haben mit ihr noch ewig lange geredet. Besser gesagt, Ericka's Insights zum Thema Dating, Partnerschaft und Feminismus gelauscht und diese kommentiert. Ist natürlich alles recht persönlich, aber kurz gesagt kann man sich von Frauen wie Ericka echt eine Scheibe abschneiden und viel lernen. Bin dann gestern noch ein bisschen wach gelegen und musste das alles auf mich wirken lassen, bevor ich überaus happy eingeschlafen bin.

Heute Morgen hieß es dann schon Abschied nehmen von Ericka und ihren Kids - schön wars, übers Wochenende Teil ihrer Familie zu sein! Mariam und ich sind recht früh aufgestanden und mit dem Zug wieder nach Malmö rein, um in der Bib ein bisschen zu arbeiten bzw. zu lernen. Malmö wäre nicht Malmö, wenn nicht auch die Bib mitten im Grünen wäre. Durch eine riesige Fensterfront kann man vom Arbeitsplatz direkt in den angrenzenden Park mit Weiher, schönen schwedischen Radler*innen und viel Grün gucken - da muss man schon fast aufpassen, dass man sich selbst nicht die ganze Zeit vom Lernen ablenkt. ;) Auf Ericka's Tipp hin sind wir dann noch in eine Gelateria, um fancy Eissorten wie Erdbeere-Balsamico oder Mango-Ingwer zu probieren. Richtig lecker! Dass das Ganze vegan-freundlich ist, versteht sich eh von selbst. Jo, und wie schon so oft dieses Wochenende, hatten wir die Zeit aus dem Blick verloren. Ich habe eigentlich eher zufällig aufs Handy geschaut, als ich merkte, dass in 20 Minuten der Zug von Malmö nach Kopenhagen geht, von wo aus ich den Zug nach Hamburg erwischen musste. Und die Mariam musste ihren Flug nach Paris erwischen, auch von Kopenhagen aus. Und der Bahnhof Malmö war 15 Minuten von der Gelateria entfernt. Ähm. Wir sind also losgerast mit unseren Hipster-Eiscremes in der Hand, mit den Öffis zum Hauptbahnhof, ich hab mein Zeug (verdammt sei mein roter Reisekoffer an dieser Stelle) aus den Fängen der Gepäckaufbewahrung befreit, und ja, dann sind wir so richtig anti-alman-mäßig gerade noch in den Zug nach Kopenhagen gehüpft. Ja, und an dieser Stelle schließt sich jetzt der Kreis zu meiner gegenwärtigen Situation im Zug nach Hamburg. Klar hätte ich Kopenhagen noch mitnehmen können, wenn ich letzte Nacht bereits weg wäre von Ericka's Zuhause. Aber ganz ehrlich - das war's mir nicht wert nach diesem Wochenende. Touri in Kopenhagen spielen kann ich ein anderes Mal, diese wunderbare Couchsurfing-Erfahrung und diese spannenden, tollen Menschen, die ich in den vergangenen Tagen kennenlernen durfte, machen jeden instagramable Kopenhagen-Moment um das tausendfache wett. Bin also ziemlich happy gerade, und schon ziemlich gespannt auf Hamburg, Bonn und Berlin, und darauf, meine Freund*innen dort wiederzusehen. Krass, dass ich in wenigen Stunden wieder in Deutschland bin! Und in eineinhalb Wochen auf Zwischenstation in Bayern. Zwischenstation, weil Nova Rock und weil noch zwei Klausuren in Ravenna Ende Juni. Und recht viel weiter will ich gerade eigentlich nicht denken, weil eh alles so kommt, wie es kommen soll, und dieses zukunftsfixierte Denken echt ungesund sein kann. 

Pues, nos vemos muchachxs!

Besos,

Vroni



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