03. Liebesbrief an Kathmandu (DE)

 Es ist schon ein bisschen schade, dass ich meine Storys erst erzähle, wenn sie bereits vorbei sind, anstatt während ich mitten drin bin. Auch dieses Mal ist es wieder so. Kathmandu habe ich bereits Mittwochmittag verlassen, und jetzt gerade, also Sonntagabend, tippe ich diese Zeilen bereits aus Phnom Penh. Definitiv zu schnelllebig waren die letzten 10 Tage seit Manfreds und meiner Rückkehr aus dem Himalaya. Mein Gehirn tut sich schwer, die ganzen Eindrücke zu verarbeiten: Die Tage bei den Gautams in Kathmandu, der kurze, etwas stressige eintägige Zwischenstopp in Bangkok von Mittwoch auf Donnerstag, die Ankunft in Phnom Penh am Donnerstagabend, der erste Arbeitstag bei der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) am Freitag, gefolgt von einer spontanen Partynacht mit einem meiner Kollegen und seinen Freund*innen. Gestern und heute habe ich es daher langsam angehen lassen. Körperlich und geistig war ich dieses Wochenende ziemlich hinüber, aber trotzdem bin ich aktuell so glücklich wie schon lange nicht mehr - und das, obwohl 2022 bisher tatsächlich eines der schönsten und intensivsten Jahre in meinem Leben ist. Bevor ich über meine ersten Tage in Phnom Penh schreibe, möchte ich in diesem Beitrag über die unglaublich lehrreiche, schöne und bereichernde Zeit bei Niraj und seiner Familie in Kathmandu berichten. Ich hoffe, meine Worte werden dem Ganzen ansatzweise gerecht.

Letzte Woche Freitag war es für Manfred so weit: Sein Rückflug nach München stand bevor. Den Tag vor seinem Abflug haben Manfred, Niraj und ich mit einem Besuch bei der Swayambunath Stupa verbracht. auch bekannt als der Monkey Temple. Der Name ist Programm, es war schwer zu sagen, ob nun die "richtigen" Affen die Mehrheit der Tempelbevölkerung darstellten oder ihre smartphonesüchtigen Verwandten, welche die Affen als Accessoires für ihre Fotos missbrauchten (*husthust* Manfred *husthust*). Unterhaltsam war der Ausflug auf jeden Fall, vor allem, weil Manfred ausgeraubt wurde. Von einem Affen. Der es auf sein Eis abgesehen hatte. Und dabei erfolgreich war. Niraj und ich mussten noch Tage später über den Vorfall lachen, wenn wir daran dachten. :D Für mehr Details einfach Manfred auf der nächsten Party anquatschen. 

Ein Mitglied des Kathmandu'schen Eiscremekartells.

Abgerundet wurde dieser denkwürdige Tag mit Mo:Mos in einem von Niraj's Lieblingsrestaurants, und die Mo:Mos hielten voll und ganz, was Niraj uns versprochen hatte - einfach nur lecker und die dazu gereichte Soße hatte den perfekten Schärfegrad. Zumindest für Niraj und mich, Manfred dagegen... Nun ja, es war ein Tag voller Entbehrungen für ihn. Gut, dass ihm jede Menge kühlendes Bier zur Seite stand. Spaß beiseite, wir hatten es einfach sehr lustig miteinander an diesem letzten Tag vor Manfred Abreise. Und für Manfred war es wirklich Zeit, nachhause zu kommen. Da merkte man wieder mal, wie verschieden wir beide sind: Während ich voller Vorfreude auf die nächsten drei Monate in Asien schaute und mir bereits tausende Begegnungen, Orte, Erfahrungen und Learnings ausmalte und mich auf das große Unbekannte freute, war Manfred mental voll und ganz wieder auf daheim eingestellt und freute sich wieder auf Mama's Essen, bayerische Weinfeste im Herbst und auf seine Baustellen. Und ich konnte seine Freude gut verstehen und freute mich für ihn mit. Schon schön, dass jede*r so unterschiedlich ist und einfach ihr Ding machen kann. 

Vor dem Aufbruch nach Nepal hatte ich ja zugegebenermaßen ein bisschen Angst vor Manfred's Abflugtag. Ich dachte, dass der Abschied bestimmt furchtbar schwierig wird, weil ich mich somit erstmal vom letzten verbleibenden Bindeglied zu meiner Familie und nach Deutschland verabschieden musste. Und ja, es war traurig für mich, am Flughafen in Kathmandu meinen Bruder zu umarmen und zu wissen, dass ich ihn jetzt monatelang nicht sehe, und zu wissen, dass unsere Eltern später nicht zwei Kinder am Flughafen München abholen würden, sondern nur eines. Aber andererseits fehlte dieses "Jetzt bin ich allein in der Fremde"-Gefühl. Einfach, weil mir Niraj und seine Familie ununterbrochen das Gefühl gaben, eben nicht fremd zu sein. Ganz im Gegenteil, ich fühlte mich sofort wie ein Teil der Familie. Weder die Eltern von Niraj und Nishma noch ihre Oma sprechen Englisch. Aber trotzdem entstand innerhalb kurzer Zeit ein sehr schönes Gefühl der Vertrautheit zwischen mir und den Gautams. Und dafür braucht es keine Worte. Beziehungsweise nur die 7,8 Worte, die ich in dieser Zeit auf Nepalesisch lernte und die überwiegend mit Essen zu tun hatten. Wenn ich reise, brauche ich eigentlich kaum klassisches Sightseeing. Viel wichtiger ist mir, meine Neugier zu stillen, zu lernen und meinen Horizont zu erweitern, und vor allem zu sehen, wie Menschen auf die unterschiedlichste Art und Weise in den verschiedensten Kontexten die kleinen und großen Problemchen im Alltag bewältigen. Und genau so eine Erfahrung durfte ich während meiner letzten Tage in Kathmandu machen, und diese Erfahrung trägt mitunter dazu bei, dass es mir momentan so unsagbar gut geht. 

Da Niraj's Vater im Lebensmittelvertrieb selbständig ist und Niraj das Unternehmen übernehmen möchte, um seinem Papa etwas mehr Ruhe im Leben zu ermöglichen, war Niraj leider ziemlich viel in der Arbeit. Das lag unter anderem auch daran, dass das Dashain-Fest unmittelbar bevorstand. Dashain ist das wichtigste Fest für Nepales*innen und vom familiären Stellenwert vergleichbar mit Weihnachten. Und wie an Weihnachten, wird auch während Dashain sehr viel gegessen, und dementsprechend viel war im Unternehmen von Niraj und seinem Vater los. Natürlich hätte ich gerne mehr mit Niraj unternommen, aber andererseits konnte ich auch verstehen, dass er aus dieser Situation ganz schlecht rauskonnte. Ein bisschen Quality Time war trotzdem jeden Tag drin, und die wussten wir mit sehr vielen guten, schönen Gesprächen über alles Mögliche zu füllen. Es gibt sie halt, diese Menschen, die man noch nicht lange kennt, aber bei denen man das Gefühl hat, sie schon ewig zu kennen. Nach Nepal komme ich sowieso wieder, und dann klappt es bestimmt besser mit Niraj's Zeitmanagement. Ich bin da mit meinen hunderttausend Hobbys und Interessen und dem ganzen Unikram um die Ohren bestimmt die letzte Person, die anderen dafür einen Vorwurf macht. 


Laphing, mein allerliebstes Lieblings-Streetfood in Nepal :)


Viel Zeit hatte dagegen Niraj's Schwester Nishma - und mit ihr Zeit zu verbringen, hat sehr viel Spaß gemacht! Well, wenn zwei Veggie-Feministinnen aufeinander treffen... Wir haben jede Menge feministischen Input und Buchtipps ausgetauscht, veganes nepalesisches Streetfood probiert, sind fast jeden Morgen ins Fitnessstudio gegangen, haben die Premiere eines Indie-Arthouse-Films gegangen, den ein Freund von Nishma gedreht hatte, haben eine ziemlich coole Messe für nepalesische Start-Ups besucht, und haben sehr viel über das Leben in Nepal und in Deutschland geredet. Von ihr habe ich sehr viel über das Kastensystem und seine Problematiken, die Hindu-Kultur und über Schwierigkeiten für junge Menschen in Nepal in Sachen Bildung, Partizipation und Liebesleben gelernt. Hätte ich diese ganze Zeit in Kathmandu im Hostel verbracht, umgeben von internationalen Backpackern, wäre ich für all diese Dinge komplett blind geblieben. Generell habe ich aus diesen Tagen jede Menge Impulse mitgenommen für meine berufliche Weiterentwicklung. Mein Wunsch, im NGO-Bereich oder bei einer politischen Organisation tätig zu werden, ist nochmal bestärkt wurden. Hinter all den Problemen wie beispielsweise Müll auf den Straßen und weitere Mängel an öffentlicher Infrastruktur, welche man oberflächlich in Entwicklungsländern beobachten kann, steckt immer eine strukturelle Ursache. Im Falle Nepals wäre diese Ursache eine korrupte Regierung, die sich nicht sonderlich für ihre Bürger*innen interessiert. Man kann durch die Korruption und fehlende Transparenz also nicht einfach Geld auf das Problem schmeißen. Alternative Lösungen für Dilemmas wie das hier beschriebene zu finden, beschreibt eigentlich ziemlich genau den Impact, den ich beruflich bewirken möchte. Sorry, kurz abgeschweift.

Hier mal mit roter Tika, das ist sozusagen die Festtagsfarbe. Gelb dagegen ist die Trauerfarbe. Kleiner Reminder, dass Farben je nach kulturellem Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben!

Politisiert wurde offensichtlich recht viel während dieser Tage bei den Gautams, sowohl mit Nishma als auch mit Niraj. Zu viel Gerede über Politik kann ja ziemlich runterziehen. Dass das nicht passiert ist, habe ich vor allem Niraj's Mam und Oma zu verdanken. Denn zwei Dinge, die mich zuverlässig immer glücklich machen, sind Essen und der Austausch mit anderen Kulturen. Verschmelzen Essen und Kultur, kann bei mir gar nichts mehr schief gehen. Und genau das ist passiert. In der kurzen Zeit bei den Gautams habe ich gelernt, Mo:Mos und Roti selbst zuzubereiten, wurde von Niraj's Oma zweimal mit einer Tika verziert und zum Hindu-Tempel mitgenommen (aber nicht reingelassen, weil ich keine Hindu-ID habe - war eine etwas doofe Situation.). Darüber hinaus habe ich mich laut Niraj's Mama als sehr gute Partie auf dem nepalesischen Heiratsmarkt qualifiziert, weil meine Roti scheinbar perfekt geworden sind. Guten Content für ihren TikTok-Channel haben meine Kochversuche übrigens auch abgegeben. Da ich für eine Europäerin scharfes Essen ziemlich gut vertrage, erfülle ich somit wesentliche Checkpoints, um als Südasiatin durchzugehen. ;)

Roti in the making

Es war sehr schön, mit so viel Wärme und Fürsorge bei den Gautams gehostet zu werden, und ich fühlte mich sofort wie zuhause. Mein Nepali-Wortschatz wurde auch jeden Tag um ein paar Vokabeln mehr erweitert, wäre ich länger geblieben, hätte ich mir die Sprache nach einiger Zeit bestimmt auf einem halbwegs passablem Level angeeignet. Obwohl es eine dermaßen große Sprachbarriere zwischen der älteren Gautam-Generation und mir gab, war der Umgang miteinander dennoch sehr ungezwungen, natürlich und warmherzig. Die Abreise aus Nepal fühlte sich daher für mich viel mehr nach Abschied und Aufbruch an, und ich habe im Flugzeug nach Bangkok ziemlich viel geweint. Irgendwie spüre ich, dass diese Familie mir noch lange verbunden bleibt und ich definitiv nicht zum letzten Mal dort auf Besuch war. Niraj und Nishma habe ich bereits eingeladen, uns in Europa besuchen zu kommen. Zu gerne möchte zurückgeben, was ich bei ihnen zuhause erfahren durfte. Und natürlich möchte ich den beiden unbedingt Bayern und meine Lieblingsorte in Italien zeigen. Nun ja, eines nach dem anderen. Erstmal klarkommen auf die Tatsache, dass ich diese Woche durch drei Länder geprescht bin (Nepal, Stopover in Thailand, Kambodscha) und morgen dann bereits mit meinen ersten Projekten bei der KAS betraut werde. Darüber und über die erste Zeit in Kambodscha berichte ich dann demnächst. Fortsetzung folgt auf jeden Fall.

Bacioni a tutti*e,

Vroni 

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