04. Drei Bongs für die Vroni (DE)


 

Das Vorhängeschloss geht partout nicht auf. Seit einer halben Stunde bearbeiten wir das scheiß Teil mittlerweile schon. Zuerst haben wir es noch mit dem kleinen Schlüssel versucht, der mir für den Scooter mitgegeben wurde, aber der passt nach wie vor nicht. Dann hat einer meiner in der Not neu gefundenen Bongs angefangen, das Ding mit einem Stein zu bearbeiten, und als Unterlage einen anderen Stein verwendet. Nein, Bongs sind in diesem Kontext keine Vorrichtungen zum Kiffen, sondern ein Bong ist in Kambodscha einfach jemand, mit dem man hierarchisch auf Augenhöhe ist. Also beispielsweise so ziemlich mein komplettes Team bei der KAS sind meine Bongs, bis auf meinen Chef. Wobei der sich trotz Chef-Dasein auch ziemlich bonghaft verhält, aber das ist eine andere Geschichte. Naja, zurück zur Ausgangssituation. Warum zum Geier sind ich und meine drei Bongs gerade so wild darauf, dieses Vorhängeschloss zu öffnen? Tja, weil dieses Ding eine Eisenkette zusammenhält, und diese Eisenkette habe ich um den Hinterreifen meines Mietrollers gewickelt. Und mit diesem Mietroller steh ich grad auf dem Parkplatz eines Nationalparks irgendwo in der Pampa, 40 km von Kampot, der nächsten Stadt entfernt, und kann mich logischerweise dank der Eisenkette nicht von der Stelle bewegen. Das Vorhängeschloss lässt sich nicht öffnen, obwohl ich es extra nochmal überprüft habe, bevor ich den Roller damit abgesichert habe. Schlüssel rein, drehen, das Schloss schnappt auf. Gut, dann kann man damit ja ruhigen Gewissens das Gefährt absperren. Gesagt, getan. Bloß blöd, dass Schlüssel und Schloss es sich in der Zeit, als ich um irgendeinen Wasserfall im Regenwald rumgelatscht bin, anders überlegt haben, und jetzt irgendwie nicht mehr zusammenpassen. Wie es halt manchmal auch so ist im echten Leben, sei es mit den Partner*innen, dem Freundeskreis, oder der alten Spotify-Heartbreak-Best-Of-Taylor-Swift-Playlist aus 2012. In diesem Sinne: Herzlich willkommen im bisher verpeiltesten Moment meiner Reise durch Asien! 

Das Setting ist nach wie vor dasselbe: Einer meiner Bongs ballert den Stein auf das am Boden liegende Vorhängeschloss, mittlerweile liegt schon ein neuer Stein als Unterlage bereit. Der erste ist nämlich schon gebrochen. Marmor, Stein, und Eisen bricht, aber dieses scheiß Schloss halt nicht. Der Rest der Belegschaft und ich stehen um ihn rum und schauen ihm zu. Mein Google-Suchverlauf ist voll mit Stichwörtern wie "How to open a lock without a key" und ich guck mir Tutorials an, in denen Vorhängeschlösser sich kinderleicht mit allen möglichen Tools öffnen lassen. Träumchen. Aber hier noch keine Realität, weil unser einziges Tool ein Stein ist. Bis vor 10 Minuten war ich gar nicht so zen-meditativ-tiefenentspannt, sondern hatte 'nen ziemlichen Flipper. Ich hab den Scooter-Verleih-Typen angerufen und mein Leid geklagt, der wiederum Mansplaining vom Feinsten mit mir betrieben hat. Das hat's nicht besser gemacht, feminist rage level 3000. Dann hab ich andere Backpacker*innen auf dem Parkplatz vollgejammert, ich hab hyperventiliert, der ganze Zirkus, aber irgendwann mache ich in solchen Situationen dann wieder Frieden mit mir selbst. Wenn man ein verpeiltes Vronal ist, gewöhnt man sich irgendwie daran, dass man sich regelmäßig in solchen Lagen befindet. Tja, und dann haben sich die drei Burschen hier meiner erbarmt und opfern jetzt einen Teil ihres Samstagsnachmittags, um so einem sonnenverbrannten Häuflein Mensch wie mir zu helfen. Ich starre auf den Stein, der immer wieder auf das Schloss zufliegt, und denke mir "Boah, des werd fei echt nix ma", als das Vorhängeschloss auseinanderfliegt und endlich meinen fahrbaren Untersatz freigibt. Freibier für die Bongs, oder? Ne, wollen sie nicht. Dann kambodschanischen Eistee? Ne, auch nicht. Okay, die wollen einfach nur, dass ich jetzt die Fliege mache. Passt auch, kann ich verstehen. Ich schwing mich auf den Roller und brause über eine mit Schlaglöchern durchsetzte Straße wieder zurück nach Kampot.

                                                        Stand-Up Paddling in Kampot
 

So, kleine Anekdote vom Wochenende zum Einstieg. Ich wollte das kurz erzählen, weil es mich nervt, wenn Reisen immer so elegant und gut organisiert und entspannt aussieht bzw. man es auch so erzählt. Man sieht und hört immer von den unvergesslichen Tauchtrips, Partynächten in irgendwelchen Hostels, eindrucksvollen Tempelanlagen, faszinierenden Kulturen und krassen Landschaften. Und natürlich erzählt man das ja gerne, ich bilde da keine Ausnahme. Aber man lässt oft auch diese kleinen Side-Stories aus, in denen Rucksäcke von A nach B geschleppt werden, man von TukTuk-Fahrern verarscht wird, um 3 Uhr morgens vor der Disco von irgendwelchen sexistischen Unsympathen angesprochen wird, drei Blutegel an den Schienbeinen hängen, oder als Fußgängerin im Phnom Penher Straßenverkehr täglich Nahtoderfahrungen macht. Alles Dinge, die ich während der letzten Wochen erlebt habe, und es gibt noch viel mehr. Und ja, seitdem ich vor 6 Wochen ins Flugzeug nach Kathmandu gestiegen und vor fast 4 Wochen in Phnom Penh angekommen bin, geht es mir dennoch unfassbar gut. So gut, dass es manchmal schon unheimlich ist. Jedenfalls kommen diese Glücksgefühle nicht daher, dass alles ununterbrochen smooth läuft und ich 24/7 den Insta-Traveller-Digital-Nomad-Traum lebe. Diese Dauer-Happiness, die ich seit meinem Aufbruch nach Asien fühle, hat damit zu tun, dass ich seit sechs Wochen Stück für Stück meiner inneren Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit, die ich während der Pandemie so vermisst habe, wieder nähe komme. Dass ich wieder lerne, einfache Dinge wertzuschätzen, loszulassen und im Moment zu leben (und das trotz meines sehr vollen Google-Kalenders, der von Montag bis Freitag auf mich im Office wartet). Klingt zwar nach esoterischem Yoga-Yogurette-Pritschn-Gefasel, ist aber so. 

Ja, ich bin tatsächlich zum Arbeiten hier

Und natürlich findet sich einer der Gründe für meine derzeitige Dauer-Happiness in der Tatsache, dass mein Praktikum bei der KAS Kambodscha ein echter Glücksgriff ist. Und was macht die KAS jetzt eigentlich? Kurz gesagt, die KAS ist sowohl eine NGO als auch ein politischer Think-Tank, also an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. Das heißt ganz konkret, dass die KAS versucht, Wissen zu bestimmten Themen, die für Kambodscha's Entwicklung relevant sind, zu generieren, dieses Wissen an Organisationen in Politik und Wirtschaft zu vermitteln, und Brücken zu bauen zwischen Bildungsinstitutionen, Zivilgesellschaft und eben der Politik. Die Themen umfassen hierbei Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internationale Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und die Partizipation junger Menschen. Um eben Wissen zu diesen Themen zu gewinnen, veröffentlicht die KAS in Zusammenarbeit mit Expert*innen und Wissenschaftler*innen aus diesen Themenfeldern Publikationen, lädt auf Konferenzen zu Diskussionen ein, organisiert Trainingsprogramme und Workshops zu politischer Bildung für Schüler*innen und Student*innen, und vergibt Stipendien. Wie man merkt, verfolgt das Ganze eher einen Top-Down-Approach. Ich bin zwar in Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit eher ein Mensch für Bottom-Up/Graswurzelbewegungen, Top-Down ist mir stellenweise ein bisschen zu elitär und nicht inklusiv genug. Aber das ist ja eine Erkenntnis, die ich gut ins weitere Berufsleben mitnehmen kann. Trotzdem sehe ich sehr deutlich, dass die Vorgehensweise der KAS einiges bewegt, vor allem für junge Menschen. Wenn man es schafft, auch nur ein paar junge Leute, vor allem in ländlichen Regionen, zur politischen Partizipation zu bewegen, Medienkompetenz vermittelt (was vor allem in Kambodscha echt wichtig ist, Medienfreiheit ist hier eher solala), kann das einen richtigen Schneeballeffekt haben. Da Kambodscha hinsichtlich der Altersstruktur sehr jung ist, kann man daher sagen, dass die Arbeit der KAS echt viel Sinn macht. Und etwas Sinn für mich macht, bin ich Feuer und Flamme. Seit vier Wochen bin ich jetzt schon im Team, und ich bin immer wieder überwältigt von den Perspektiven und Themen, die ich mir erschließen darf, den inspirierenden Menschen, denen ich begegne, und von der immensen Lernkurve, die ich allein in den letzten Wochen realisiert habe. Von Tag 1 weg wurde ich aktiv in die Projekte der KAS eingebunden, und ich werde geistig viel gefordert, aber auch gefördert - und darf mit recht viel Spielraum auch eigene Projekte umsetzen. Hab auch bereits ein Projekt gefunden, bei dem ich mich journalistisch etwas austoben kann und mich gleichzeitig mit Female Empowerment beschäftigen kann, weitere Details folgen hoffentlich demnächst. ;) 


                                                         Tagesausflug nach Koh Dach

Macht die KAS nicht irgendwie irgendwas mit der CDU?

Was mich immer wieder überwältigt, sind die Konferenzen. Seitdem ich an Bord bin, besuche ich jede Woche mindestens eine davon, zu allen möglichen Themen. Vor zwei Tagen war ich beispielsweise auf der National Media Development Conference, letzte Woche im von der KAS organisierten International Relations Policy Forum. Langsam kenn ich auch schon ein paar Namen und Gesichter von all diesen Botschaftsmitarbeiter*innen, NGO-Menschen, Intellektuellen pipapo. Ich fühl mich auf solchen Veranstaltungen oft etwas klein, unbeholfen, ungebildet und mäuschenmäßig, weil ich es einfach nicht gewohnt bin, so unterwegs zu sein. Dass ich mich am wohlsten in meiner Hippie-Hipster-Kluft und mit wahlweise Sneakers oder Wanderstiefeln fühle, weiß man ja. Aber mei, man darf sich das halt nicht anmerken lassen. Und zurück im Büro nach solchen Veranstaltungen tausche ich die Pumps immer gleich gegen meine Lidletten, die mittlerweile beim KAS-Team schon einen gewissen Kultstatus erreicht haben.Womit ich schon beim nächsten Thema bin, das Team ist nämlich der Hammer. Außer mir und unserem Chef sind alle im Büro Kambodschaner*innen, und kaum jemand älter als 30, und alle immer gut drauf, sehr integrativ und einfach nur lieb. Ich hab mich von Anfang an gut aufgehoben gefühlt. Von der CDU merkt man bei der KAS Kambodscha übrigens absolut gar nichts, politisch ist die KAS Kambodscha definitiv linker eingestellt. Und nein, die Fördergelder kommen auch nicht von der CDU, sondern vom BMZ. Im Vorfeld hatte ich ja schon ein bisschen Bedenken, dass ich hier als links-grün-versiffte Feministin politisch dauernd anecke.  Klar hat niemand im Büro 1:1 dieselbe politische Meinung, und das ist ja auch wichtig. Aber die Grundeinstellung passt: Reflektiert sein, über den Tellerrand schauen, kein ignoranter, selbstvergessener Volldepp sein, keinen Bock auf strukturelle Diskriminierung haben. Geht doch.

Phnom Penh - Einmal Chaos to go, bitte

Phnom Penh ist eine sehr intensive Stadt, und genauso intensiv ist mein Leben hier. Es gibt Tage, an denen ich von der Arbeit nachhause laufe und die Stadt am liebsten wie ein Buch zuklappen möchte und einfach Stille um mich rum haben will. Der Verkehr ist laut und chaotisch, Gehsteige gibt es theoretisch, aber die sind überwiegend von parkenden Autos und Straßenverkäufer*innen belegt. Mopeds, Autos, TukTuks, sie alle nehmen so absolut gar keine Rücksicht auf Leute, die keinen Bock auf Staus und waghalsige Verkehrsmanöver haben und stattdessen zu Fuß gehen. Tja, und ich gehe nun mal jeden Tag zu Fuß zur Arbeit, weil ich es für 15 Minuten Fußweg nicht einsehe, ein TukTuk zu ordern. Erstens Geld, zweitens Fittness und Alltagsbewegung. Mittlerweile habe ich mich schon daran gewöhnt, in dieser Stadt als Fußgängerin eigentlich kein Existenzrecht zu haben, und werde gleichzeitig auch zum Profi darin, mich sicher und effizient durchzuboxen. An manchen Tagen bin ich total froh, wenn ich nicht nochmal rausmuss, an anderen Tagen stört mich der Verkehr überhaupt nicht. In Sachen Urban Planning hat Phnom Penh jedenfalls noch Nachholbedarf. Abgesehen davon lieb ich es hier. Ich habe momentan jede Menge Energie und Lust, Neues zu probieren, weshalb ich unter der Woche nach der Arbeit immer recht aktiv bin. Seitdem ich in Phnom Penh bin, habe ich begonnen, Volleyball zu spielen (Nationalsportart in Kambodscha), Kundalini und Aerial Yoga ausprobiert, meine Ernährung auf nahezu vegan umgestellt, und jetzt habe ich auch noch eine Location gefunden, die kostenlose Bachata-Tanzkurse anbietet. Meine Leidenschaft für Sport und Bewegung kommt hier also nicht zu kurz. Dank der Hilfe meines Kollegen Soumy habe ich mittlerweile schon einige Leute hier kennengelernt und das Nachtleben ebenfalls schon ausgiebig erkundet - und das Partylife hier hat es schon ganz schön in sich. ;) Weil ich aber auch nicht jedes Wochenende zwischen Dragqueen-Bars, Clubs und Katerstimmung auf der Couch verbringen möchte, balancier ich das Ganze mit Kurztrips ins Grüne ab, wie zum Beispiel letztes Wochenende in Kampot. Und ganz ehrlich, das brauch ich auch. Obwohl mich Phnom Penh so energitisiert und ich mich in Städten grundsätzlich immer wohlfühle, muss ich doch einfach auch regelmäßig in die Natur, mal durchatmen, Stille erfahren, Weitblick genießen. Aber genau diese Mischung aus meinem fancy Expat-Lifestyle in Phnom Penh und meinen simplen und schönen Ausflügen als Backpackerin macht's für mich letztendlich. Es gibt noch so viel mehr kleine und große Stories zu erzählen aus meinen ersten vier Wochen, aber dieser Post ist jetzt eh schon lange genug, und außerdem bin ich heute um halb fünf vom Feiern heimgekommen und von demher gerade ein etwas degeneriertes Säugetier. In diesem Sinne, Küsschen aufs Nüsschen.

Vronal



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